Anlässlich der heutigen Abstimmung im Deutschen Bundestag über die Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten kommentieren die Arbeitsgemeinschaften der Lesben und Schwulen in der SPD der Landesverbände Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen.
Heute wurde mit großer Mehrheit im Deutschen Bundestag beschlossen, die Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Diese Entscheidung nehmen wir mit Bedauern zur Kenntnis. Wie auch bei der Abstimmung über das Asylpaket II, das Ende Februar beschlossen wurde, war auch dieses Votum für viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Bundestag sicher keine leichte Entscheidung. Das Abstimmungsergebnis verdeutlicht dies: Von den Abgeordneten der SPD-Fraktion stimmten 22 gegen den Antrag, weitere 3 enthielten sich.
Als Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der SPD respektieren wir die Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten. Dass die Entscheidung für viele Abgeordnete auch ein Zugeständnis an die Union innerhalb einer Großen Koalition war, ist unbestritten.
In seinem Urteil aus dem Jahr 1996 hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass nur Staaten nur zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt werden dürfen, wenn dort landesweit für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen Sicherheit vor politischer Verfolgung besteht (BVerfGE 94, 115). Das ist bei Algerien, Marokko und Tunesien nicht der Fall. In allen drei Staaten wird einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts mit hohen Gefängnisstrafen bedroht und es findet eine offensive Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bi, Trans- oder Intersexuellen (LSBTI) statt. Diese Kritik wurde auch durch den Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetz aufgegriffen, da die spezielle Situation von LSBTI aus den betroffenen Staaten nicht hinreichend berücksichtigt scheint. Auch wir wollen die Abstimmung zum Anlass nehmen, darauf hinzuweisen, dass als Folge der Beschlüsse eine intensive Auseinandersetzung mit der speziellen Gruppe von Menschen auf der Flucht unentbehrlich ist.
Die aktuelle Asyldebatte wird kaum im Kontext von sexueller Orientierung und Identität geführt, so dass die besondere Lage von LSBTI oft unberücksichtigt bleibt. Auch in der Auseinandersetzung um das Asylpaket II geraten die Belange dieser Gruppe schnell ins Hintertreffen. Schon vor den Neuerungen im Asylrecht war die Situation für LSBTI auf der Flucht schwierig. Durch die massive Homo- und Transphobie sowie der damit einhergehenden Verfolgung in ihrer Heimat, fällt es Asylsuchenden oft schwer ihre sexuelle Orientierung und Identität zu zeigen. Staatlichen Behörden gegenüber reagieren sie mit großer Skepsis, da es gerade diese Institutionen in ihren Herkunftsstaaten waren, die eine strukturelle Verfolgung praktizierten und eine gesellschaftliche Diskriminierung vorantrieben. Häufig werden sie selbst in Deutschland noch von Dolmetscherinnen und Dolmetschern diskriminiert, sodass ihre Anerkennung als Asylsuchende gefährdet ist.
Die nun beschlossenen Maßnahmen verschlimmern die beschriebenen Zustände weitestgehend. Mit der Verkürzung der Asylverfahren wird eine hinreichende Prüfung der Asylanträge von LSBTI erheblich erschwert. Durch eine mangelhafte Prüfung des Asylantrages könnten Schutzbedürftige ausgewiesen werden. Es bestehe die Gefahr, dass LSBTI damit faktisch ihrer Grundrechte beraubt werden. Dies muss verhindert werden.
Daher appellieren wir an alle am Asylverfahren Beteiligten trotz Beschleunigung gerade für die Gruppe der LSBTI auf der Flucht eine gewissenhafte und intensive Einzelfallprüfung vorzunehmen. Mit Blick auf aktuelle und zukünftige sogenannten sichere Herkunftsländer fordern wir, dass es nicht zu einer Umkehrung der Beweislast zuungunsten von LSBTI kommen darf.
Grundsätzlich gilt: Der Wunsch nach schnelleren Verfahren ist nachvollziehbar! Jedoch darf es nicht zu einer Verminderung der Qualität der Prüfung kommen. Konkret heißt das, die Wahrung der Grundrechte und der Schutz vor Unversehrtheit müssen Vorrang vor einer Verfahrensbeschleunigung haben.
Gerade mit Blick auf die Situation von LSBTI in Algerien, Marokko und Tunesien, scheint es weltfremd diesen Staaten einen Persilschein zu erteilen.